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Biographische Rekonstruktionsarbeit (Impulsvortrag)

  • Universität Oldenburg 114-118 Ammerländer Heerstraße Oldenburg, 26129 Germany (map)

Über eine Methode, um den Leib als Laboratorium zur Erforschung von Familiengeschichte wahrzunehmen.

Rahmen: 18. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGSF: „Ich, Du und die anderen…“. Selbstorganisation - Selbststeuerung und die Frage nach dem Sinn

Während uns die fünf Sinne mitteilen, in welcher Weise wir mit unserem gegenwärtigen Umfeld verbunden sind, kennzeichnet der „sechste Sinn“, das Gefühl, die Spur, die uns zur Vergangenheit und zu den Vergangenen führt. Zugleich sagt es uns, wie wir - oder ob wir überhaupt schon - auf die Zukunft hin orientiert sind. Als fühlende Wesen sind wir diesem primären Geschichtssinn ausgesetzt, ja wir sprechen damit unbewusst in unserer originären Sprache. Bei ihr befinden wir uns im Hoheitsgebiet einer ursprünglichen Grammatik. Diese verweist uns auf eine vom Bewusstsein unabhängige Ordnungsmacht des menschlichen Lebens.

Das biographische Verfahren der Rekonstruktionsarbeit ähnelt dem Familienstellen äußerlich, nimmt jedoch in ganz anderer Weise auf die Arbeit mit Genogrammen Bezug. Es findet im Zusammenwirken von Therapeut und Klient statt und dient dazu, die Zusammenhänge zwischen Ohnmachtsgefühlen und Trauerprozessen zu erkunden und die Entdeckung der Wege, wie sie übertragen werden und sich wandeln, für den therapeutischen Prozess zu utilisieren. Jahrelange Erfahrung mit den grundlegenden biographischen Untersuchungsergebnissen war Voraussetzung für die Entwicklung dieser neuartigen diagnostischen und therapeutischen Methode. Sie eröffnet anlässlich des Auftauchens von Symptomen wesentliche Wege zur Selbstwerdung. Diese entfaltet sich in Gestalt sinnvoller Brüche mit widersprüchlich empfundenen familiären Loyalitäten. Die Methode korrespondiert mit der Entdeckung der Bedeutsamkeit von Altersrelationen und dient einer Überprüfung der Hypothese, dass sich Kinder in spielerischer Weise an Stellvertretungsordnungen orientieren und durch ein gesetzmäßiges Scheitern ihres Spiels die Notwendigkeit erleiden, durch Wahrnehmung der ihnen historisch zufallenden Verantwortung erwachsen zu werden.

In meinem Vortrag stelle ich als Arzt und Therapeut in aller Kürze den neuen Stand dar, den die Theorie und Praxis der Biographik seit meiner ersten diesbezüglichen Veröffentlichung  inzwischen erreicht hat. Er nimmt Bezug auf das Werk Viktor von Weizsäckers. Dieser hat, als Sigmund Freud bereits verfolgt wurde (1933), in dessen Jahrbuch einen grundlegenden Beitrag über „Körpergeschehen und Neurose“ veröffentlicht. Er hat ein ganzes Forscherleben (1886 bis 1957) der Aufgabe gewidmet, eine empirisch begründete ärztliche Hermeneutik zu entwickeln, die zur therapeutisch sinnvollen Beantwortung der drei Fragen „Warum gerade jetzt, hier und so?“ verhilft. Wohl wissend, dass er nicht zum Ziel gelangt war, bezeichnete er sie 1956 bereits im Vorgriff als „Biographik“. Deren Aufgabe lässt sich durch den Titel der Tagung umreißen. Ich möchte nun darüber berichten, inwiefern es sich dabei um eine aus dem täglichen Umgang mit Kranken erwachsene Methode handelt.

Earlier Event: May 27
Zur Kritik des Freudomarxismus
Later Event: November 15
Würde und Gastrecht